„Dem Schatten entsprungen“
Da eile ich zur Bahnstation, innerlich verschnürt in Gedanken, verknotet in To-Dos. im Widerstand gegen das, was der Tag von mir verlangt – ein weiterer Akt im weltlichen Pflichtstück. Und dann – ganz unerwartet – empfängt mich Stille. eine U-Bahn, leer, ruhig, wie eine Höhle aus Zeit. Kein Lärm, kein Druck. Nur ein Moment tief ersehnter Ruhe. Ein innehalten. Ein Reset – wie vom Leben selbst geschenkt.
„Hoffnung keimt auf – aus dem Schatten meines Selbst zurück ins Licht meiner Lebendigkeit.“
– Michael Gooding
„Im Schatten der Aufklärung: Über die Rückfallstruktur des Ressentiments“
Der Mensch ist ein ordnendes Wesen. Er schafft Muster, Kategorien, Zugehörigkeiten – nicht aus Bosheit, sondern aus Notwendigkeit. Inmitten der Komplexität des Daseins bieten Unterscheidungen Halt. „Freund“ und „Fremder“, „wir“ und „sie“ – das sind keine bloßen Begriffe, sondern uralte Werkzeuge, mit denen sich Welt fassen lässt. Doch diese Werkzeuge bergen eine gefährliche Rückseite: Sie verfestigen sich zu Urteilen, und Urteile zu Vorurteilen. Und wenn es eng wird, wenn Sicherheit bröckelt oder die Selbstgewissheit ins Wanken gerät, dann greift der Mensch zurück – nicht zum ersten Mal, sondern wieder und wieder.
Das Ressentiment, sagt Nietzsche, ist kein einmaliger Fehltritt, sondern ein zähes, unterschwelliges Lebensgefühl. Es nährt sich aus Ohnmacht und Stolz, aus erlebter Kränkung und verweigerter Größe. Max Scheler nennt es eine „geheime Rachsucht“ – nicht unbedingt laut, oft leise, aber darum umso langlebiger. Und tragischer noch: Es kann sich selbst verleugnen, sich zivilisieren, sich als Ironie tarnen. „Ich bin doch nicht rassistisch, aber…“ – so beginnt der Rückfall. Er beginnt im Gewand des Vernünftigen, des Abgeklärten, manchmal sogar des Humorvollen.
Dabei wäre das Ziel ein anderes: die Überwindung. Doch echte Überwindung ist selten. Zu stark sind die Affekte, zu tief sitzen die frühen Prägungen, zu groß ist der unbewusste Drang, sich durch Ablehnung zu stabilisieren. Freud sprach vom Wiederholungszwang – ein Muster, das sich selbst fortschreibt, solange es nicht durch Erkenntnis und Arbeit am Selbst durchbrochen wird.
In der Rückfallstruktur des Ressentiments liegt also eine anthropologische Tiefe. Sie ist keine moralische Schwäche, sondern eine seelische Struktur – vergleichbar einer Narbe, die unter Druck wieder zu schmerzen beginnt. Wer das erkennt, blickt nicht nur kritischer auf andere, sondern ehrlicher auf sich selbst. Der liberale Intellektuelle, der plötzlich herablassend über „die einfachen Leute“ spricht; der politische Aktivist, der sich bei Enttäuschung in Schwarz-Weiß-Denken flüchtet – es sind keine Einzelfälle. Es sind Symptome eines kollektiven, kulturell getarnten Rückfalls.
Doch was wäre dann echte Kultur? Vielleicht ist sie nicht die Abwesenheit von Ressentiment, sondern der bewusste, achtsame Umgang mit seinem Wiedererscheinen. Eine Haltung, die nicht vorgibt, frei zu sein, sondern wachsam bleibt gegenüber dem eigenen Schatten.
Denn Aufklärung heißt nicht, dass wir keine Dunkelheit mehr in uns tragen. Sondern dass wir lernen, mit ihr zu leben – ohne ihr zu folgen.